Der verlorene Zwilling

Laut embryologischen Forschungen führen ungefähr 30 % aller Zeugungen zu Zwillings- oder Mehrlingsschwangerschaften. Geboren werden jedoch höchstens drei bis fünf Prozent, da es im Verlauf der Schwangerschaft zu einem „Verschwinden“ („vanishing twin“) des Zwillings (Drillings) kommt. Dies geschieht häufig in den ersten Tagen, Wochen sowie ersten drei Monaten, meistens von der Mutter unbemerkt. Zeichen dafür können vaginale Schmierblutungen sein oder der Fötus wird in die Plazenta aufgenommen.
(Quelle: E. Steinemann "Der verlorene Zwilling")

Ein Zwillingsverlust im Mutterleib kann weitreichende Folgen auf der körperlichen und emotionalen Ebene haben. Jemand der im Mutterleib ein Zwillingsgeschwisterchen verloren hat, leidet in seinem späteren Leben an den Auswirkungen dieses unbewussten Verlustes. Dies kann sich besonders auf der Beziehungsebene zeigen, denn kein Beziehungspartner wird jemals diese bedingungslose Liebe und Innigkeit erfüllen können, die den Anfang des Lebens des Alleingeborenen bestimmte und nach welcher sie oder er immer noch sucht. 

Ein kurzer Überblick über mögliche Auswirkungen:

• das Grundgefühl von Einsamkeit
• Depressionen
• Schuldgefühle
• etwas fehlt „in dieser Welt“
• bestimmte Beziehungsmuster: … unerfüllter Liebe, Wiederholung von Verlassen werden, Verschmelzungssehnsüchte, tiefgreifende Verlustängste, Eifersucht,…
• oder: Vermeidung von tiefen Gefühlen und Beziehungen aus Angst vor dem unerträglichen Schmerz, (wieder) allein gelassen zu werden,  Einzelgänger, …
• nicht mit ganzer Kraft im Leben sein zu können, weil „etwas“ aus dem Leben zieht
• Unfälle, Todessehnsucht
• sich im Leben oft nicht durchsetzen können aus Angst, anderen den Platz wegzunehmen; Angst zu viel Raum einzunehmen
• körperliche Beeinträchtigungen oder Erkrankungen

Für Betroffene ist es meistens eine ungeheure Erleichterung, wenn sie ihren früh verlorenen Zwilling in der Therapie entdecken. Bisher scheinbar unerklärliche Phänomene im eigenen Leben können nun in einem größeren Sinnzusammenhang gesehen werden und somit ihren richtigen Platz finden. Mit der Würdigung und dem Verabschieden des Zwillings sowie dem Verarbeiten der damit verbundenen Gefühle, kann ein heilsamer Prozess beginnen. Während bisher ein Grundgefühl von Trauer und Verlust das Leben begleitete, kann nun auf einer tiefen seelischen und körperlichen Ebene erfahren werden, dass der Anfang des eigenen Lebens von einer bedingungslosen Liebe begleitet wurde.

Empfehlenswerte Literatur zu diesem Thema:
Evelyne Steinemann: Der verlorene Zwilling
Alfred R. u. Bettina Austermann: Das Drama im Mutterleib – der verlorene Zwilling
Barbara Schlochow: Gesucht, Der verlorene Zwilling